Erste Blüte

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Die erste nachweisbare politische Versammlung soll das Stiftungsfest des »Allgemeinen deutschen Arbeitervereins« von Ferdinand Lasalle gewesen sein. Das achte Gründungsjubiläum feierte man mit der bewährten Mischung aus Agitation, Bier und Tanzmusik.

Es gab, unter anderen, das Theaterstück »Eine Gans – Dramatisches Gespräch über die Erweiterung des weiblichen Arbeitsmarktes« von Dr. v. Schweitzer. Bismarcks Sozialistengesetze 1878 verboten derartige Festivitäten und Versammlungen mit eindeutig politischem Charakter.

Aber die politisch aktive Arbeiterschaft gründete Gesangs-, Sport- und andere »Tarnvereine« und feierte und agitierte auch im Prater weiter. Ab 1891 gehörte das Lokal an der Kastanienallee zu den jährlichen Austragungsorten der 1. Mai-Feierlichkeiten.

Vor allem hatte aber das eher unpolitische Amüsement im Prater seinen Platz. Im Sommer zeigte Paul Kalbo der Zweite, täglich »Spezialitäten- Vorstellungen«, Singspiele, Possen und Operetten, sogar Pantomime und Marionettenspiel.

Wobei die Darbietungen eher staatstreu waren: Marschmusik zur Erinnerung an die Schlacht von Leipzig oder Stücke wie „Das Glöckchen des Eremiten«. Im Winter brach im großen Haus die Ballsaison an. Das Publikum war gemischt: kleine Kaufleute und Beamte, Dienstmädchen, ehrbare Familien, Arbeiter und Militär.

1902 beantragte Martha Kalbo, die Witwe des dritten Paul Kalbo, eine Konzession für »mehraktige Schauspiele des klassischen Repertoires«. Sie erhielt die Genehmigung, neben Tingeltangel, den Schmonzetten und Operetten 15 mal im Jahr »Gehobenes« zu zeigen.

In ihrer Begeisterung für das »Gehobene« ließ die Wirtin im Jahre 1905 den Saal umbauen. Das Gebäude erhielt ein Obergeschoss und eine elegante Fassade, der große Saal selbst wurde ein veritables Theater mit Schnürboden, Donnerkasten und eisernem Vorhang.

Am 1. Mai eröffnete man mit »Kabale und Liebe« und damit begann die erste Praterkrise: Das Publikum wolle lieber Tingeltangel, Chansonetten und Marschmusik, es wurde dem Etablissement untreu.

Martha Kalbo war eine zu gute Geschäftsfrau, um die erste gravierende Fehlentscheidung in der langen Reihe der erfolgreichen Kalbos nicht zu korrigieren. Bald gab es wieder Blasorchesterkonzerte, Joe Will auf dem Rad und »O diese Schwiegermütter«.